Bereits der Philosoph Francis Bacon wusste im Jahre 1620:  „The human understanding when it has once adopted an opinion […] draws all things else to support and agree with it.” (1)

Entgegen den Vorstellungen der klassischen Ökonomie handeln Menschen nicht immer rational-analytisch. Stattdessen (so meinen es die Psychologen) ist unser Verhalten oft emotional und automatisch gesteuert. Beide Sichtweisen werden in der Idee zusammengebracht, dass menschliches Denken über zwei verschiedene Systeme, einem eher unbewussten, intuitiven System 1 sowie einem bewussten, kontrolliert-reflektierenden System 2 funktioniert. (2)

System 1 arbeitet schnell, automatisch und mühelos. Wahrscheinlich haben Sie das Rechenbeispiel (Abb. 1

Was ergibt 2 mal 2?

Abbildung 1: Rechenaufgabe

) ohne Aufforderung ausgerechnet – einfach so, ohne Mühe und übrigens ohne, dass Sie es selbst verhindern konnten. Der Grund: System 1 ist immer ‘an’ . Es ist in der Lage parallele Sinneseindrücke (d.h. auch größte Datenmengen von bis zu 11.000.000 Bits/sec)  gleichzeitig zu verarbeiten.(3)

System 2 hat dagegen nur eine begrenzte Rechenkapazität (40-50 Bits/sec) . Es erlaubt ein flexibles, logisches, jedoch langsames Denken –  Schritt für Schritt. System 2 ist der “faule” Skeptiker und Kontrolleur der Interpretationen von System 1. Meist kommt es erst dann ins Spiel, wenn System 1 nicht mehr weiter weiß.

Was, z.B., ergibt 17 x 24?

System 1 kann Ihnen hier nicht weiterhelfen. Jetzt ist System 2 gefragt. Wieder kommen Sie zur richtigen Lösung, jedoch nur mit Mühe und ganz bewusst, nach gewissen Rechenregeln – niemand darf Sie jetzt ablenken. (4)

Die Arbeitsteilung von System 1 und System 2 macht unser Denken hocheffizient. Mit minimalem Aufwand erzielen wir meist beste Ergebnisse. Dabei navigiert und das enorm leistungsfähige System 1 als eine Art Autopilot durch den Alltag. Meistens versteht und handelt es richtig, manchmal jedoch, zieht es voreilige Schlussfolgerungen. Wenn System 2 dann nicht interveniert (z.B. wenn wir abgelenkt oder müde sind), unterliegen wir kognitiven Verzerrungen.

In diesem Beitrag widmen wir uns dem Confirmation Bias (dt. Bestätigungsirrtum). Dieser ist eine schon alte und insbesondere für uns Marktforscher und Marketers enorm wichtige Beobachtung. Danach neigen Menschen dazu, Informationen im Sinne eigener, bereits bestehender Meinungen zu suchen und zu interpretieren.

Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt!

Für Unternehmen oder Start-Ups, die mit ihrem Produkt sehr befasst sind, ist es daher oft schwer einen objektiven, unverzerrten und realistischen Blick zu wahren. Zu sehr glauben wir an die Relevanz der eigenen Idee. Bei einer Marktanalyse oder Kundenbefragung suchen wir uns als Beweise genau die Statistiken oder Statements heraus, die unsere eigenen Erwartungen bestätigen. Argumente, die gegen unser Produkt sprechen, ignorieren wir bzw. messen ihnen eine geringere Bedeutung bei.

Die Informationen, die uns schließlich selektiv erreichen, interpretieren wir im Kontext eigener Vorannahmen. So kann eine uneindeutige Interviewpassage als eindeutige Evidenz dafür gelten, was wir sowieso schon längst vermutet haben.   

Entscheidend ist: Hierbei handelt es sich um implizite System 1-Prozesse. Unserer selektiven Wahrnehmung sind wir uns nicht bewusst. Wir erliegen dem Bestätigungsirrtum, ohne, dass wir es bemerken.

Beispiel: System 1 bei der Arbeit

ABC Anne läuft zu einer Bank. 12 13 14

Abbildung 2: Vgl. Kahneman (2011), S. 79.

Wahrscheinlich haben Sie beim Betrachten von Abb. 2 links, A B C und rechts, 12 13 14 gelesen. (6) Ganz automatisch kam Ihnen sofort eine Buchstabenfolge bzw. Zahlenreihe in den Sinn. Genauso gut hätten Sie aber auch A 13 C und 12 B 14 lesen können. System 1 hat die Mehrdeutigkeit des Symbols (B bzw.. I3) durch den jeweiligen Kontext aufgelöst. Schließlich kam Ihnen nur eine Interpretation in den Sinn.  

“System 1 protokolliert nicht die Alternativen, die es verwirft, oder auch nur die Tatsache, dass es Alternativen gab.” (7)

System 1 zieht also voreilige Schlussfolgerungen. Nicht immer sind sie korrekt und nicht immer erschließt sich die Bedeutung einer Aussage aus dem direkten Kontext. Nehmen Sie das mittige Beispiel aus Abb. 2. :

Anne läuft zu einer Bank.

Diesmal ist überhaupt kein Kontext gegeben. Trotzdem denken viele Menschen an eine Person, die gerade auf ein Geldinstitut zugeht.  Vielleicht möchte sich Anne aber auch nur auf eine Parkbank setzen? Wieder wird bei einigen die Mehrdeutigkeit der Aussage ausgeblendet.

Unser Erleben und Verstehen wird demnach maßgeblich von System 1 (automatisch, unbewusst) gesteuert. Ständig bietet es plausible Interpretationen an. Wo kein Kontext besteht, wird ein Kontext konstruiert. Dieser wiederum basiert auf eigenen Erfahrungen, Erwartungen und vorgefassten Meinungen.

Den Confirmation Bias umgehen in 5 Schritten

Um dem Confirmation Bias zu begegnen, sollten wir uns bemühen über den subjektiven Tellerrand von System 1 zu blicken. Kurzum: Gehen Sie mit System 2 an Ihre Forschungsvorhaben heran.  Das ist einfacher gesagt, als getan, denn System 1 lässt sich nicht einfach ausschalten. Weiterhin präsentiert es Ihnen ständig Interpretationen und Verständnis-Vorschläge. Wie also können wir aus der Beschränkheit eigener Subjektivität ausbrechen um die Offenheit für das Unerwartete zurückzuerlangen?


1. Inhaltlich-naive/r Interviewer/in

Finden Sie eine möglichst außenstehende Person, die nicht direkt in die Entwicklung Ihres Produkts oder Dienstleistung mit eingebunden ist. Die Idee: Die Person sollte prinzipiell nicht wissen, wonach sie sucht. Somit steht sie den explorierten Meinungen und Einstellungen unvoreingenommen und objektiv gegenüber. In der Realität ist das nur bedingt möglich. Meist stehen uns die Befragten lediglich 1 – 2 Stunden zur Verfügung. Damit diese Zeit effektiv genutzt wird, darf das Gespräch nicht ins Blaue laufen. Zwar sollten Interviewende eine gewisse Sachkenntnis besitzen, sich aber dennoch eine inhaltlich-naive Haltung bewahren. Während einer Befragung entdeckt der/die Forschende gemeinsam mit den Befragten das Produkt neu und agiert ergebnisoffen. Überlegen Sie ggf. ein unabhängiges Marktforschungsinstitut als Partner mit ins Boot zu holen. Ein externer Interviewer ist auch deshalb von Vorteil, da die Befragten sonst dazu neigen, ihnen als Unternehmen gefallen zu wollen und negative Aspekte ihrer Kritik verschweigen.  


2. Methodisch-kompetent die richtigen Fragen stellen 

Zur Voraussetzung einer inhaltlich-naiven Grundhaltung tritt die Anforderung einer methodischen Kompetenz. Fragebogen oder Leitfaden sollten als Insights-Netz fungieren. Unangenehme Meinungen dürfen nicht durchs Fragenraster hindurchfallen. Daher ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen. Um ein feinmaschiges Fragennetz möglichst breit aufzuspannen bedarf es psychologischer Interviewtechniken und also eines geschulten Interviewers. 

Suggestivfragen oder das Einbringen eigener Meinungen und Vorstellungen sollten vermieden werden. Projektive und kreative Techniken bieten sich an um auch implizite Einstellungen und Motive aufzudecken.

Dabei gilt auch für alle Marktforscher: Fordern Sie Ihre Annahmen und vorgefassten Meinungen heraus. Suchen Sie nicht nach Beweisen für das, was Sie sowieso schon denken, sondern suchen Sie auch aktiv nach dem, was möglicherweise dagegen spricht. Dabei helfen Ihnen drei wesentliche Strategien qualitativer Forschung (8). Sie verfolgen das Prinzip mit System 2-Denken die kognitiven Verzerrungen von System 1 zu umgehen. Der Einsatz ist mühevoll aber lohnenswert.


3. Selbstreflexion als A und O

Forschende sollten sich während des Interviews und  der Auswertung stets selbstkritisch im Auge behalten. Stellen Sie sich die Frage: Welche eigenen Meinungen, Ansichten und Vorannahmen bringe ich als Forscher selbst in die Untersuchung mit ein? Wie verzerren Sie ggf. meine Wahrnehmung? In welche Falle könnte System 1 tappen? Selbstreflexion hilft Ihnen subjektive Einflüsse auf die Forschungsergebnisse auszuklammern.


4. Intensive Kommunikation

Daneben bedarf es einer intensiven Kommunikation aller Beteiligten untereinander. Nur durch sie lösen wir uns aus der eigenen kognitiven Zwangjacke  und nehmen fremde Perspektiven ein. Konkret heißt das:  Eigenen Interpretationen des Gehörten werden noch während der Befragung an die Interviewten zurückgespielt. So kommt es  bereits während des Interviews zu einer kommunikativen Validierung (oder Falsifizierung) des eigenen Verständnisses.


5. Kontextualisierung

Die eigentliche Analyse des empirischen Materials erfolgt meist erst im Nachgang. Um die empirischen Daten nun systematisch, d.h. auch unter Berücksichtigung alternativen Hypothesen zu interpretieren sollte das Interview transkribiert werden. Stellen Sie sich den voreiligen Schlüssen von System 1 entgegen und ziehen Sie zum Verständnis der empirischen Daten weitere Textstellen aus dem engen und weiten Kontext  heran.  Zunächst plausible und naheliegende Hypothesen werden so ggf. wieder verworfen. Durch konsequentes Prüfen sämtlicher Interpretationen im Kontext bleiben schließlich objektiv vertretbare Hypothesen und Ergebnisse zurück.  

Marketers und Marktforscher sind vor kognitiven Verzerrungen nicht gefeit. Für eine gelingende und erkenntnisreiche Insights-Generierung sollten wir uns deshalb stets um den Zweifel bemühen um die Offenheit für das Unerwartete zurückzugewinnen. Qualitative Forschung hat Strategien kultiviert, welche die kognitiven Verzerrungen des Confirmation Bias wieder geraderücken um darüber zu objektiven Ergebnissen zu gelangen. 

Literatur:

(1) Vgl. Nickerson, R. S. (1998): Confirmation bias. A ubiquitous phenomenon in many guisess, In: Review of General Psychology 2 (2), S. 178.

(2) Vgl. Beck, H. (2014): Behavioral Economics. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer Gabler. S. 13f.  

(3) Vgl. Barden, P. (2013): Decoded: The Science Behind Why We Buy. Wiley. S. 14f.

(4) Vgl. Kahneman, D. (2011): Thinking, fast and slow. London: Penguin Books. S. 21 ff.

(5) Vgl. Beck, H. (2014): Behavioral Economics. S. 47 ff.

(6) Vgl. Kahneman, D. (2011): Thinking, fast and slow. S. 79 ff.

(7) Ebenda.

(8) Vgl. Naderer, G.; Balzer, E. (Hg.) (2011): Qualitative Marktforschung in Theorie und Praxis. Grundlagen – Methoden – Anwendungen. 2., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: Gabler Verlag / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Wiesbaden.  S. 408 ff.